Die Leipziger[*innen] wollen nicht mehr.
Inzwischen ist selbst den letzten Mitläufern klar geworden, dass die Durchhalteparolen der Nazis nicht nur leere Worte sind, sondern das Leiden noch verschlimmern.
Mit dem Vorrücken der amerikanischen Truppen hängen immer mehr weiße Laken aus dem Fenster, Kinder bekommen weiße Tücher in die Hand.
Allen Ängsten zum Trotz klettern Kinder und Erwachsene aus den Kellern, um die Truppen zu bestaunen.
Mewes und Rössler, 2014, S. 8
Der Krieg ist vorbei. Zum Glück. Erleichterung macht sich breit, gemischt mit Ängsten vor der Zukunft, Hunger und Trauma. Der Überlebenskampf geht für die Anwohner*innen Leipzigs weiter. Aber der Krieg ist für sie vorbei.
Bereits am 16. April 1945 hatte die sogenannte “Widerstandsbewegung Nationalkommitee Freies Deutschland”, der NKFD, dazu aufgerufen Leipzig doch kampflos zu übergeben. Menschliche Verluste und solche an Wohnungen und Besitz sollten vermieden werden. (vgl.Mewes und Rössler, 2014, S. 8) Kriegsmüdigkeit war schon lange ausgebrochen.
Und nun war es da – das Kriegsende.
Meine freudige Bewegung konnte ich nicht verbergen; am liebsten hätte ich jeden amerikanischen Soldaten umarmt. Selbst den Übergriff eines amerikanischen Soldaten, den sich ein solcher mir gegenüber erlaubte, als er mir mit vorgehaltener Pistole meine Taschenuhr mit goldener Kette abnahm, habe ich lächelnd geschehen lassen.
Richard Lange (ca. 50 Jahre alt damals), Lützschena, Erfahrungsbericht
(in: Steinecke, 2005, S. 181)
Als Antifaschist war Richard Lange von 1941 bis 1944 eingesperrt. (vgl. Steinecke, 2005, S. 124). Nun war er kaum frei, konnte er im April 1945 das Kriegsende in Leipzig miterleben, wie er freudig berichtete.
29.346 Tage später – das Äquivalent von 80 Jahren und 5 Monaten, machte sich eine Gruppe Interessierter in Leipzig auf den Weg um nach Spuren der letzten Kämpfe in Leipzig Südvorstadt zu suchen.

Nunja, wirklich suchen mussten sie nicht, denn ich hatte bereits gesucht und einige Stellen durch einen Tippgeber noch erfahren (hab Dank, Dirk). Ich zeigte also den Teilnehmenden die verschiedenen Überbleibsel aus dem Krieg und vermittelte, was ich recherchiert hatte zu den letzten Kriegstagen und der Zeit danach.
Für mich – nur in meinem Kopf – teilte ich den Rundgang in 2 Teile ein – 1. “Kampfspuren in Stein und Beton” und Teil 2: “Leben im Schutt”. Beide waren sehr unterschiedlich, denn ich versuchte eine abwechslungsreiche Art des Konzeptes – mit Spuren suchen, Historisches ausprobieren, Artefakte halten /anfassen dürfen, auch etwas mitnehmen dürfen (Kriegsrezepte), Wissen aufnehmen und mehr.

Es war das letzte Wochenende für dieses Jahr, an dem die Rundgänge stattfanden.
Mir wurde noch angeraten nur noch einen offiziellen Spaziergang dieser Art zu machen, aber ich entschied mich, angesichts der Anmeldungen, dagegen. Stets kamen Anfragen für ENTWEDER Freitag ODER Samstag rein. Selten konnte jemand beide Tage, daher beließ ich es bei den beiden Tagen.
Leider kam es auch am Freitag wieder zu Absagen, so viele, dass es weniger als die Hälfte der Gruppe, die sich angemeldet hatten, noch waren am Ende. Meinen Frust über diese Art und Weise, die so viele Menschen an den Tag legen, was Zusagen und Absagen angeht, also fehlende Verlässlichkeit, kann ich gar nicht in Worte fassen. Daher belasse ich es an dieser Stelle bei dieser Anmerkung dazu.
Da wir nun nur so wenige waren, konnten wir pünktlich los, mussten nicht auf das Ankommen von einzelnen Nachzügler*innen warten.
Alles verlief wie geplant; das Wetter war zauberhaft – als würde es sich nochmal von der besten Seite zeigen wollen für die Rundgänge, bevor der Herbst dann endgültig übernehmen würde und die Rundgänge in die Pause gehen bis Frühling.

Doch dann passierte doch etwas Unerwartetes: An einem der Standpunkte tauchte zufällig eine Zeitzeugin auf. Sie lud uns in das Haus ein, erzählte uns von der Historie des Gebäudes und den Nachkriegsjahren, die sie selber erlebt hatte. Auch von Hunger und dem Umgang damit berichtete sie uns, und wollte uns im Rahmen dessen auch unbedingt einen Einblick in den Garten gewähren, der sie und alle im Haus damals zum Teil ernährt hatte.
Was ein Glück, dass wir auf diese nette Frau trafen. Wir sind ihr sehr dankbar für ihre Freundlichkeit und Offenheit das fremden Menschen zu erlauben, besonders da wir nun ja auch sehr bunt und links aussahen alle zufällig den Tag – also ich seh immer so aus, aber auch die Zusammensetzung der Gruppe den Tag war “bunter” als sonst. Alle, die sich politischen oder alternativen Kreisen zugehörig fühlen, wissen, wie gerade ältere Menschen gerne mal abweisend reagieren auf einen. Aber sie nicht – ein Goldstück!
So konnten wir also nicht nur Berichte aus erster Hand erfahren, sondern auch den superschönen, aber sehr naturbelassenen, bienenfreundlichen Garten bewundern, der wohl einem Nachbarn des Nachbarhauses, “ein Wessi” (Zitat), SEEEHR aufstößt, wie sie berichtete. Er hat sich wohl schon mehrfach beschwert. Dieser Spießer! 😉




Auch konnten wir durch ihre Einladung in den Hausflur sehen, dass sich die Einschusspuren auch drinnen im Hauseingang weiter ziehen.




Die einzige Schattenseite dieser Begegnung war eine zeitliche Verzögerung, die mir die Teilnehmenden aber hoffentlich nicht allzu übel nahmen. Ich versuchte an mancher Stelle dann zu kürzen, aber trotzdem wurde es recht lang dann insgesamt.
Der restliche Rundgang verlief nach Plan und es schien allen gefallen zu haben. Und so endete dieser Freitag.


Samstag passierte nun etwas, was vorner noch nicht passiert war: Teilnehmerinnen kamen einfach nicht – trotz Anmeldung. Bisher hatten die Menschen wenigstens noch den Anstand abzusagen. Dass nun – nicht nur eine Person, sondern gleich 2 – unanhängig voneinander – nicht auftauchten, war nochmal eine neue Steigerung der Enttäuschung gegenüber den Menschen (in Leipzig). Eine hatte sich zumindest im Nachgang noch entschuldigt mit einer gesundheitlichen Begründung, das ist entschuldbar. (Was will man machen?) Natürlich wäre eine rechtzeitige Absage sicher auch möglich und angemessen gewesen. Aber gut, ich schüttelte es ab und es ging los.


Auch diesen Tag zeigte das Wetter sich von der besten Seite. Fast schon zu warm war es. Aber wir blieben, wo es ging, im Schatten und liefen die Strecke planmäßig ab. Alle zeigten sich interessiert und freundlich, es war eine angenehme Truppe.
Wieder halfen mir alle, am ganzen Wochenende übrigens, mit meiner Tasche der Unterlagen und Artefakte. Vielen Dank dafür nochmal, wenn jemand von euch hier rein liest! Ich schätze das sehr und nehme es nicht als selbstverständlich.

Am gleichen Haus wie den Tag zuvor, hatten wir das Glück einen Blick rein werfen zu können, da ein interssierter Handwerker gerade Materialien auslud und uns erlaubte in den Hausflur zu schauen. Auch hörte er kurz zu und drückte seine Begeisterung für das spannende Thema aus.


Skurril diesen Tag war, dass es der zeitmässig längste Rundgang von allen war, dabei war jetzt nicht direkt etwas passiert, was ihn verlängerte, wie die Zeitzeugin am Vortrag. Bis heute überlege ich, was wohl der Grund war. Aber ich denke es waren viele kleine Sachen, die sich summiert haben am Ende, sie möchten mir nur nicht einfallen. Auch hier hoffe ich aber, dass ich die ermüdende Verlängerung damit gut gemacht habe, dass es allen gefallen hat und sie es spannend fanden, was ich ihnen bot.
So klang der Samstag friedlich aus, trotz des unschönen Starts des Tages.


Damit endeten die offiziellen Rundgänge für 2025.
Am Sonntag dieses Wochenendes hielt ich jedoch noch einen Extra-Rundgang für interessierte Freundinnen ab.

Ich muss zugeben, ich hatte damit gerechnet, dass mehr Bekannte, Nachbar*innen, Freund*innen Interesse zeigen würden oder mich zumindest mit einer Teilnahme unterstützen würden (das Thema ist ja auch für nicht-Geschichts-Nerds spannend, denk ich), aber dem war nicht so. Fazit: Ich brauch neue Freund*innen. 😉
Daher war ich froh, dass zumindest diese Mädelsgang Lust hatte. Und falls jemand von ihnen mitliest: “zumindest” ist nicht wertend gemeint. Don´t @ me! 😛
Auch Lucy, mein Hundebaby, kam dieses Mal mit. Sie hasst es, aber ich hatte keinen Sitter, nachdem meine liebe Anna, eine Nachbarin, schon 2 Tage (bei den anderen beiden Rundgängen) so lieb war. -_o_-
Dadurch gibt es jetzt Fotos für euch von meiner Kleinen und den Kriegsspuren:




Natürlich war diese Durchführung etwas lockerer und ungezwungener insgesamt. Wir lachten viel; ließen uns Zeit.

Es endete ein langes, aber schönes Wochenende für mich.
DANKE nochmal an alle Teilnehmenden, die Interesse hatten an meinen Recherchen und Ausarbeitungen sowie meiner archäologischen/historischen Arbeit. Ich würde mich enorm freuen, wenn ihr ein Kommentar da lasst, wie es euch gefallen hat: https://die-bewahrerin.net/rundgaenge/erfahrungsberichte-zu-den-rundgaengen/
Wenn es genug Nachfrage gibt, werde ich in der nächsten vorlesungsfreien Zeit, also wenn meine Arbeitslast etwas nachlässt, den Rundgang wieder anbieten. Das wäre dann im Frühling, was auch die Wetterproblematik etwas verringern sollte. Da es aber noch nicht 100%ig fest steht, lohnt es sich bereits jetzt Interesse zu bekunden – per Mail, als Kommentar hier oder auf Insta. Aber ihr wisst: bloß nicht dieses höfliche, künstliche Gequatsche – bitte nur ehrliches Interesse, und auch nur, wenn ihr auch zuverlässig seid dann!!!
Oder, und das hab ich im ersten Bericht schon mal geschrieben gehabt, ihr könnt mir auch schreiben, wenn ihr 5 Leute für eine private Tour zusammen bekommt. Dann können wir das zeitiger machen als nächstes Jahr Frühling, an einem schönen, trockenen Herbsttag noch. Bitte melden dafür! Eventuell kann ich mir auch eine Wintervariante überlegen, aber muss ich schauen wie. Traut euch aber zu schreiben, dann seh ich mal!
Mein insgesamtes Fazit nach den 3 Wochenenden: Ich freu mich, dass es so funktioniert hat, wie ich es konzipiert und geplant hab, dass es Interesse gab und so gut ankam. Nachdem ich letztes Jahr nochmal eine neue Chance auf mein Leben bekommen habe, bin ich direkt danach quasi verloren gegangen in meinem neuen Job. Ich bin dankbar die Stelle zu haben, aber sie kostet mich sehr viel. Noch hab ich keine gesunde, funktionierende Arbeitsweise und Arbeitspensum gefunden.
Durch die Rundgänge hab ich nun wieder viel zu mir gefunden und Kraft getankt. Daher bin ich allen Unterstützer*innen dankbar, die mich bestärkt haben darin und natürlich besonders bin ich dankbar für alle Teilnehmer*innen. Danke ihr Süßmäuse.
Bis bald
Eure Bewahrerin
BUCHQUELLEN
– Mewes, P. & Rössler, R. (2014): Aufgewachsen in Leipzig – in den 40er und 50er Jahren. Wartberg Verlag.
– Steinecke, G. (2005): Drei Tage im April – Kriegsende in Leipzig. Lehmstedt Verlag.