Vollalarm – Feindannäherung.
Leipzig scheint von allen Seiten eingeschlossen. Das Gerücht geht um, feindliche Parlamentarier sind nach dem Rathaus gefahren und haben verhandelt.
Bruno Linke (69 Jahre alt), Westvorstadt, Auszug aus seinem Tagebuch.
[Oberbürgermeister] Freyberg hat beschlossen die Stadt zu verteidigen. Alles in Panikstimmung.
(vgl. Steinecke, 2005, S. 154)
Viele Leipziger*innen wollten die Stadt nicht verteidigen als die amerikanische Armee kam, im April 1945.
Sie wollten nicht noch mehr Leben diesem Krieg opfern, es waren schon so viele. Und ebenso wollten sie auch nicht noch mehr Häuser/Wohnungen und ihre letzte Habe verlieren durch sinnlose Kämpfe in einem längst verlorenen Krieg. Die Bombardierungen, die auch noch im April 1945 auf die Stadt niedergingen, hatten erneut Wohnungslosigkeit und Tote mit sich gebracht. So waren viele schlichtweg kriegsmüde, sogar (einst) überzeugte Nazis. Auch sie saßen in den Bombenkellern, neben weniger – bis hin zu gar nicht – Überzeugten und alle bannten um ein Ende des Leids. So verschieden im Geiste, aber in Ängsten verbunden …. in diesen Momenten, in den letzten Nächten.
Die Gegner*innen und Kritiker*innen des Krieges und der Nazis, auch von ihnen waren welche in den Städten, in ihren Wohnungen verblieben, gerade in Leipzig waren sie zu finden. Sie hatten, mal mit Glück, mal mit Verstand, diese Jahre überlebt. Nun konnten das Ende des Krieges und damit der Herrschaft der Nationalsozialist*innen kaum noch erwarten.
Es waren Stunden in furchtbarer Spannung und doch gemildert durch die Hoffnung, dass der Einzug der Feinde das Ende der verhaßten Nazis bringen mußte, Gedanken, welche jeden Sozialisten freudiger stimmten.
Arno Kapp (62 Jahre alt), Connewitz, Tagebucheintrag.
(vgl. Steinecke, 2005, S. 176)
Aber es gab eben auch die Anderen, die Überzeugten, die, die nicht zu verlieren hatten sowie die, die Befehlen folgten, ohne zu hinterfragen. Sie wollten kämpfen. Und so wurde Leipzig fast kampflos überlassen, aber eben nur fast!
Es kam zu Kämpfen. Davon berichten auch Tagebucheinträge und erhaltene Briefe aus dieser Zeit.
Auch in der Südvorstadt wurde gekämpft. Die Spuren davon sind bis heute zu sehen.
Der neu ausgearbeitete Rundgang zu Weltkriegsspuren im Leipziger Süden fand nun bereits das 2.Mal statt und daher möchte ich auch zu diesen Rundgängen einen kleinen Bericht schreiben.

Da bei den ersten 2 Durchführungen bemerkt wurde, dass 1 1/2h zu knapp bemessen ist, wurde das Poster dieses Mal direkt angepasst und auf 2h festgelegt. Menschen müssen sich ja aus den verschiedensten Gründen einstellen auf einen Zeitbereich (Kinder Zuhause, Termine oder Erledigungen im Anschluss etc.). Daher muss die Zeitangabe auch realistisch berechnet sein.
Ich bin in den Vorbereitungen zum Rundgang die reine Strecke abgelaufen und hab dabei festgestellt: diese ist in ein wenig mehr als einer halben Stunde zu schaffen. So blieben noch 1h für den Input. Die restliche halbe Stunde in der ursprünglichen 1 1/2 – 2h-Angabe war nur als Puffer gedacht.
Rundgänge, Vorträge und Workshops sind seit vielen Jahren politischer Arbeit und Beruf mein täglich Brot. Ich bin es nicht nur gewohnt, ich liebe es!! Es ist Berufung und Leidenschaft für mich. Daher würde ich manchmal gern länger und inhaltlich mehr vermitteln, als 1h reiner Input (ohne die Laufstrecke). Aber ich weiss, dass bei Menschen, die es nicht gewöhnt sind, die Aufmerksamkeit halt nachlässt nach einer gewissen Zeit, beziehungsweise sind mir auch Studien zu der allgemeinen Aufmerksamkeitsspanne von Menschen bekannt. Und man möchte ja auch nicht dass Teilnehmende danach so kaputt sind, dass es ihnen den Spaß an der Sache nimmt.
Die Rechnung ist also einfach: Eine Stunde Input + halbe Stunde Weg = 1 1/2 h insgesamt.
Allerdings läuft man mit einer ganzen Gruppe Menschen eben nicht so schnell, wie alleine. Aber die Realität sieht so aus: Man verquatscht sich, kommt an einer notwendigen Straßenüberquerung nicht so schnell drüber, wie man es alleine rüber schafft, oder hält sich durch andere Dinge auf unterwegs.

Die Planung also angepasst. So konnte es losgehen.
DER FREITAGSRUNDGANG: Wieder war es ein hin und her mit den Anmeldungen. Nicht nur meldeten sich immer wieder Unentschlossene, die nicht klar schrieben, welche Tage sie können oder wollen. Obendrein: Menschen sagten zu, wieder ab, wieder zu und am Ende auch wieder einige final ab. Daher war die Freitagsgruppe sehr klein – eigentlich so klein, dass sie meine mir vorgenommene Mindestgruppengröße unterschritt.
Aber ich entschied mich dazu es durchzuziehen und war am Ende sehr froh, denn es war eine sehr nette kleine Gruppe. Es bereitete mir und ihnen sehr viel Freude sich gemeinsam mit der Geschichte des Viertels zu befassen.
Alle kamen weitestgehend pünktlich und es lief ohne Probleme ab. Es hatte die Nacht vorher stark geregnet und auch am Morgen des Tages des Rundganges noch. Das wirkte sich natürlich auch auf die Route aus. Der Schlamm machte uns im Wald etwas zu schaffen, denn Olly, der Trolley (mit dem ich die Sachen des Rundganges transportiere) ist ja neu und noch ist nicht klar, wie gut er auch über Stock und Stein oder an diesem Tag – über Matsch und Schlamm – kommt.

Es funktionierte auch trotz bei dieser wetterbedingt schlechten Ausgangssituation den Rundgang komplett durchzuführen. Der Trolley hatte starke Verschmutzungen im Anschluss, aber ein Verkürzen des Rundganges wäre ärgerlich gewesen, hätte dem Erlebnis geschadet. Daher war es so die beste Entscheidung. Davon bin ich überzeugt.
Der schönste Abschluss des Tages war ein tolles Kommentar zum Rundgang, welches hier auf der HOMEPAGE unter dem Beitrag zu Erlebnisberichten gepostet wurde (https://die-bewahrerin.net/rundgaenge/erfahrungsberichte-zu-den-rundgaengen/). Den restlichen Tag und auch noch Tage danach ging ich grinsend durch den Alltag.
DER SAMSTAGSRUNDGANG: Am Samstag starteten wir mit einer übergroßen Gruppe. Erst kamen kaum Anmeldungen (ich war schon so deprimiert deswegen), dann konnten wir uns kaum vor ihnen retten. Es kamen sogar noch welche, während der Rundgang schon lief. Aber die Gruppe war voll, sogar überfüllt.
Dann brachte eine Person auch noch eine weitere unangemeldet einfach mit. Sowas geht natürlich nicht, aber ich ließ es ausnahmsweise mal zu.

Die Meisten waren (über)pünktlich. Kurz nach 13 Uhr kamen dann auch die Letzten noch an und es konnte los gehen. Auch an diesem Tag lief alles ohne Probleme ab. Die Größe der Gruppe lies die geplante Länge natürlich wieder knapp werden. Aber niemand schien unter Zeitstress und alle zeigten sich sehr interessiert und begeistert.
Es gab auch an diesem Tag wieder sehr nettes bis überschwängliches positives Feedback.
Eine Besonderheit an diesem Tag war die Teilname meiner Mutti. Ich hatte sie gebeten doch auch mal teilzunehmen, das hatte sie nämlich noch nie. Und sie kam, obwohl sie gesundheitlich angeschlagen war. Meine Freude darüber war enorm. Auch ihr gefiel es sehr, wie sie sagte, “aber körperlich schon schlauchend”, schlussfolgerte sie. Menschen sind eben unterschiedlich fit oder gesundheitlich befähigt so lange zu gehen/stehen. Das weiss ich nur zu gut, schließlich leide ich an einer chronischen Erkrankung/habe eine Behinderung. Ich selbst war froh, dass mein Körper so gut mitgespielt hat die Tage, sicherlich spielte auch Adrenalin durch die Aufregung eine Rolle. Im Anschluss an die Rundgänge muss ich mich immer einige Tage erholen – psychisch und körperlich.
Die Teilnehmenden kamen also aus Brandenburg angereist, am Beispiel meiner Mum; aus dem Leipziger Umland und aus dem Viertel. Es waren alte und neue Bekannte, Familie und Fremde. Und alle verbrachten eine gute Zeit miteinander und haben hoffentlich wieder was mitgenommen und gelernt von der Veranstaltung.
Hier wieder Fotos von meinen Outfits zum Rundgang. Ich schrieb ja schon das letzte Mal, dass ich versuche mir eine immer neue historisch angehauchte Garderobe zu überlegen. Dieses Mal sind es Blümchenkleider gewesen. Die sind schließlich zeitlos. 😀 Die schwarze Kette auf dem rechten Bild ist so alt wie die Spuren, die wir mit dem Rundgang anschauen.


So viel von den Rundgängen. Nun wird es noch ein weiteres Wochenende geben und dann gehen die Rundgänge in die Winterpause. Das Wetter wird dann einfach zu schlecht und mein Job nimmt mich zu sehr ein. Die Rundgänge sind ja nur ein privates Angebot, einfach aus dem Wunsch mein erarbeitetes Wissen über das Viertel anderen zugänglich zu machen (so lange, wie es noch Spuren des Weltkrieges zu finden gibt). Ich hoff, dass es noch reges Interesse geben wird an den letzten 2 Durchführungen (Freitag und Samstag).
Zum Abschluss gibt es noch gute Nachrichten: Durch die Rundgänge kam tatsächlich ein Fundstück aus den Weltkriegsbombardierungen in dieser Woche wieder zurück an das Tageslicht, zurück aus einem privaten Keller. Durch die Weitergabe an mich, wird das Stück vor dem Entsorgen im Müll bewahrt, was unweigerlich irgendwann passiert wäre, wenn sich nicht ein*e andere*r “Bewahrer*in” gefunden hätte rechtzeitig.
Hier seht ihr das schöne Teil:

Das ist natürlich ein schöner Nebeneffekt der Rundgänge und ich hoffe das dies noch öfter passieren wird. Danke an die lieben Menschen, die mir dieses Artefakt aushändigten. Über 40 Jahre hatten sie es in ihrem Besitz (ihre Kinder hatten es damals geborgen).
Na dann bis zum nächsten Rundgang!!
Eure Bewahrerin
BUCHQUELLE
– Steinecke, G. (2005): Drei Tage im April – Kriegsende in Leipzig. Lehmstedt.
Viele geschichtliche Daten und Standorte wurden genannt und bestaunt, die den Rundgang spannend gemacht haben.
Ist auf jeden Fall zu empfehlen.
Vielen Dank, Mami. 🙂 Schön dass du dabei warst!!