Daten zum Brief:
- Äußere Gestaltung:
Brief mit Schreibmaschine auf 2 Blättern in fast quadratischem Format, ohne Umschlag - Fundort:
Gefunden auf einem Trödelmarkt in Dresden in einer Bücherreihe von “Theodor Storm” (Theodor Storms Werke, 1-2, 3-4, 5-6, 7-8) – vermutlich sollte das Buch die Briefe schützen
– es wurden in einem dieser 4 Bücher mehrere Briefe verwahrt, die anderen sind aktuell nicht auffindbar, aber ich bin guter Dinge, dass zumindest einer noch auftaucht, denn ich erinner mich an mindestens einen weiteren aus diesen Büchern - Zum Inhalt:
– dieser Brief an 2 aufeinander folgenden Tagen geschrieben – am 23. und 24. November 1944
– von einer Frau „Meta Küster“ aus „Iserlohn“ >>>> an Frau „Herzig“ in „Hannover“
– der Brief handelt von einer Frauenfreundschaft und der Zuneigung zueinander, vom Kriegsgeschehen des 2. Weltkrieges in Hannover, Dortmund und auch Iserlohn, von Verzweiflung und Hoffnung aufgrund des Kriegsgeschehens, von Kriegsmüdigkeit, aber der Inhalt ist auch geprägt von der Hoffnung auf einen Sieg Deutschlands
Als Inhalts-Warnung für sensible oder traumatisierte Menschen möchte ich also aussprechen:
Krieg, Bombardierungen, Weltkrieg, Nationalsozialismus, Flucht, Angst, Tod, sterben, Trauer
Iserlohn, 23. November 1944
Mein liebes Fräulein Herzig !
𝓝un muss ich doch endlich mal Ihre lb. Zeilen beant-
worten. Ja, ich habe mich auch schon gewundert, dass Sie
so lange nichts von sich hören liessen. Wo mag denn nur
mein Brief so lange gesteckt haben? Er hätte ja eigent-
lich noch in Falkau ankommen müssen. Aber die Beförderung
auf der Bahn lässt ja viel zu wünschen übrig, es ist ja
auch kein Wunder, wo alles bombardiert wird. Wir leben
augenblicklich in einer schrecklichen Zeit – und wer
weiss, was wir noch vor uns haben. Die Zukunft ist nicht
golden. –
𝓣äglich fliegen die feindlichen Verbände über uns,
heute z.B. hatten wir wieder 3 mal akuten Alarm. Was die
Menschen im Ruhrgebiet mitmachen, ist enorm. Die ganzen
Städte um uns herum sind entsetzlich zugerichtet, in Dort-
mund war vor 2 Wochen der schlimmste Angriff, abends gegen
8 Uhr, wir waren den Abend auch im Keller, weil das Brum-
men und Schiessen der Flieger gar kein Ende nahm. Auf 3
Zügen am Bahnhof, darunter 1 Urlauberzug, haben nur die
Bomben so geregnet; das soll ein Blutbad gewesen sein.
Wir sind bis jetzt noch vom Terror verschont geblieben
– der Himmel mag uns davor bewahren! Das ganze Leben nur
geschuftet und gespart, man hat sich nie was gegönnt,
nur dass man später versorgt ist und niemanden zur Last
fällt. Und nun soll man im Alter mittellos auf der Straße
stehen und vom fremden gLeuten abhängig sein? Wenn man
gleich tot wäre, ging man ja viel aus dem Wege.
𝓕erien hbabe ich bis jetzt noch nicht bekommen und
es ist auch nicht daran zu denken. Jetzt sind wieder 6
eingezogen worden, ohne diejenigen, die zum Schüppen weg-
sind. Ein ärztliches Attest beizubringen dürfte wohl bei
meinem Aussehen eigentlich nicht schwer fallen und dennoch
ist es ausgeschlossen, dass ich eins bekomme. Wie ich
Ihnen schon schrieb, habe ich mich ja letzthin von 3
Ärzten untersuchen und durchleuchten lassen und keiner
hat eine Krankheit bei mir feststellen können. Auf Grund
irgend einer Krankheit könnte ich wohl ein Attest oder
Zulage erhalten, aber daraufhin, dass ich so abgenommen
habe – nicht daran zu denken, da bin ich ja selbst dran
schuld, kann ja mehr essen. Den Äusserungen des Arztes
habe ich dies entnommen.
Vorige Woche habe ich mich 3 Tage zu Bett gelegt,
ich hatte keine besondere Krankheit, aber ich musste mich
mal ausruhen. Als ich wiederkam, hatte ich natürlich wie-
der allerhand nachzuholen, es vertritt mich ja niemand.
Iserlohn, 24.11.1944
𝓗eute mittag erhielt ich Ihre Karte, recht vielen
Dank. Nein, das habe ich nicht gedacht, dass Sie abhanden-
gekommen wären. Ich habe fest gehofft, dass Ihnen nichts
passieren würde. Von den vielen Fliegerangriffen auf Hanno-
ver habe ich gehört und habe dabei immer an Sie gedacht.
Vielleicht habe ich auch nur darum so ein Gefühl, weil Sie
nicht mehr im Zentrum von Hannover wohnen, aber Sie sind
ja auch nicht dauernd im Haus, sondern tagsüber an Ihrem
Arbeitsplatz, der vielleicht gerade in der Mitte Hannovers
ist. Es wäre ja nicht auszudenken, wenn Ihnen nochmals
was zustossen würde, wo Sie schon so viel mitgemacht haben.
Dass Frau Kuhlemann bei einem Angriff ums Leben gekommen
ist, tut mir furchtbar leid, Sie haben mich auch mal mit
ihr bekanntgemacht. Ich kann sie zwar mir nicht mehr so
vorstellen, weil es schon so lange her ist, aber der Tag,
an dem wir zusammen dort waren, ist mir noch lebhaft in
Erinnerung. Ich hatte damals bei ihrer Freundin die schö-
nen gemalten Deckchen bewundert, sodass ich Sie nicht in
Ruhe liess, Sie mussten wir [vermutlich “mir”] auch solche Farbe zusenden.
Aber meine Kunst war doch nicht so weit her.
𝒜ugenblicklich wimmelt es hier von Bombengeschädigten,
allein aus Bochum fast 8000 und dann noch von Dortmund
und Hagen. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, dann
haben wir auch Einquartierung. Bei uns im Hause war schon
geprüft worden. Nun hat meine Mutter angegeben, wir hät-
ten schon 3 Zimmer abvermietet und „meine Tochter wohnt
oben und ist selbständig.“, daraufhin hatten sie nichts
mehr gesagt, dagegen bei dem Ehepaar über uns, die eine
4-Zimmerwohnung hat, ist ein Zimmer beschlagnahmt worden.
Die haben sich aufgeregt und haben jetzt einen Bombenge-
schädigten aus Dortmund aufgenommen, ein Bruder von der
Frau. Wenn ich für mich allein wäre, könnte ich alles an-
ders machen. Aber so lange meine Mutter da ist, macht sie
wie sie das will. Glauben sie nurm, ich habe es auch
nicht golden. Ich hätte Sie ja nur zu gerne bei mir. Vielleicht
passt es später einmal.
𝓗ier geht auch ein Tag wie der andere rum, immer mit
der Hoffnung, wenn es doch einmal wieder besser würde.
Wohl besitzt man noch alles, aber wie langt? –
𝒱on der Westfront spüren wir noch nicht viel. Die
Kämpfe spielen sich ja um Aachen, Stolberg, Düren usw.
ab. Aber Köln liegt ja garnicht so weit davon ab. Köln
ist übrigens ja auch geräumt. Durch den Westwall sollen
sie ja nocht nicht mmmmm sein und die Wälle, die sie ja
jetzt bauen, soll auch sehr viel abhalten. Aber ich sage
mir immer: Was Menschenhände bauen, können Menschenhände
stürzen. Auf jeden Fall haben die Menschen im Rheinland
auch viel durchzumachen.
𝒱or ungefähr einem Monat haben wir hier im Finanzamt
einen Vortrag von einem Studienrat gehört, der hat uns
ja sehr viel Hoffnung gegeben. Er erklärte uns zuerst,
worum es geht in diesem Krieg, also „Volk ohne Raum“ usw.
dann sagte er, in ca. 14 Tagen, es könnte auch vielleicht
noch etwas länger dauern, kämen die neuen Waffen, und
dann nützten den Feinden ihre vielen Flugzeuge und die
vielen Panzer garnichts mehr, dann wäre das völlig hin-
fällig.
Dann wäre alles überholt. Er könnte uns nichts näheres
darüber sagen. Aber auf jeden Fall fiel es uns wie
Schuppen von den Augen. – Das ist ja alles ganz schön
und gut, wenn die Menschen aber alles verloren haben,
dann nützt uns das ja auch nicht mehr.
𝓝un, mein lb.Fräulein Herzig haben wir uns mal wieder
gegenseitig unsere Not geklagt, hoffentlich erleben wir
mal wieder bessere Zeiten.
Grüßen Sie Ihre Frau Mutter recht herzlich von mir
und ich wünsche ihr recht gute Besserung. – Ihnen auch
gute Besserung wünschend, verbleibe ich mit den herzlichsten
Grüssen.
Ihre Meta Küster.
Historischer Kontext:
Die Endkämpfe im April 1945 im sogenannten Ruhrkessel waren auch im Raum Hagen-Iserlohn der finale Schlusspunkt des Zweiten Weltkriegs. In den vorausgegangenen letzten Monaten des Krieges kam es nicht nur zu einem Zusammenbruch der [sogenannten] „Heimatfront“. Auch das wirtschaftliche Gefüge sowie das gesamte Verkehrsnetz lagen am Boden. Während Iserlohn im Februar und März 1945 von US-amerikanischen Mittelstreckenbombern angegriffen wurde, um die Kasernen zu zerstören, versank auch die Nachbarstadt Hagen noch wenige Wochen vor dem Kriegsende in Schutt und Asche. Zahlreiche in der Gegend wohnende Menschen wurden Opfer des abschließenden Schlusskriegs, den die Nationalsozialisten vor ihrem Untergang noch entfachten. (vgl. Stadtarchiv Iserlohn, 2015, o.S.)
Für die Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen in der Region verschärfte sich seit Herbst 1944 die Situation zunehmend [also zur Zeit als der Brief verfasst wurde]. Noch in den letzten Kriegswochen wurden Tausende von ihnen von der Gestapo ermordet. (vgl. ebd.)
Am 16.April 1945 [ca. 4 1/2 Monate nach dem Brief] kapitulierten die aus dem Ruhrkessel nach Iserlohn zurückgezogenen Truppen der Naziwehrmacht. Mit der Übergabe der Stadt an die US-Befreier wurde Iserlohn von der weiteren Zerstörung bewahrt. (vgl. Jelpke, 2008, o.S.)
Die Stadt Iserlohn gedachte vor einigen Jahren der kampflosen Kapitulation mit einer Gedenktafel. Doch geehrt wurden darauf nicht nur die an der Übergabe der Stadt beteiligten Pfarrer Heinrich Ditz [Anmrk.: auf der Tafel falsch geschrieben] und Bruno Linde sowie der Arzt Paul Möckel. Es wurde auch Nationalsozialist*innen gedacht, die sich entschieden aufzugeben und die Stadt zu übergeben. (vgl. ebd.)
Ehrungen von NS-Täter*innen sind durchaus kritisch anzusehen, will ich doch meinen.
–
In Iserlohn wurden zahlreiche Gegner*innen des Naziregimes verhaftet, gefoltert und ermordet. Darunter Sozialdemokrat*en, Kommunist*innen, Christ*innen und Jüd*innen. Am 9. September 1938 brannte in Iserlohn die Synagoge an der Mendener Straße. Die Brandstifter von der faschistischen SA hinderten die Feuerwehr am Löschen, so dass das jüdische Gotteshaus bis auf die Grundmauern nieder brannte. Mindestens 80 jüdischstämmige Bürger*innen aus Iserlohn wurden in den KZs und Vernichtungslagern ermordet. Seit drei Jahren erinnern Stolpersteine an einige dieser ermordeten jüdischen Familien. (vgl. ebd.)
Auch gibt es am 9.November, einem offiziellem Gedenktag, Veranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, Treffpunkt im letzten Jahr war der Gedenkstein für die Synagoge. Sicher wird es dort jedes Jahr die Möglichkeit eines gemeinsamen Gedenkens geben.
–
Die recherchierten historischen Umstände umfassen nur einige Lebensumstände der Menschen zu der Zeit des Briefes, zudem hab ich mich zunächst auf den Entstehungsort des Briefes fokussiert – Iserlohn. Wenn ihr noch mehr Infos habt zu den Umständen, in denen die betreffenden Menschen gelebt haben/der Brief entstanden ist, oder Lust/Kapazitäten habt zu recherchieren, dann schreibt gerne ein Kommentar dazu. Der Brief erlaubt ja Recherchen in ganz verschiedene Richtungen. Einen eventuellen Nachfahren habe ich bereits kontaktiert. Leider hatte er keine weiteren Infos für uns.
Quellen:
Stadtarchiv Iserlohn (2015): Vorträge 1. Halbjahr. Abgerufen am 06.01.2022, unter: https://www.iserlohn.de/fileadmin/_migrated/news/145498P.pdf
Jelpke, U. (2008): Rede zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus in Iserlohn, Abgerufen am: 06.01.2022, unter: https://www.ulla-jelpke.de/2009/05/rede-zum-jahrestag-der-befreiung-vom-faschismus-in-iserlohn/
Bildquellen:
Bild der Tafel: http://schwarze.katze.dk/bilder/fotos/gedenk01.jpg
Bild der Stadtübergabe: Fotoquelle: Sinn – https://media04.lokalkompass.de/article/2020/04/16/2/11153682_XL.jpg?1587053013
Eine Notiz zur Darstellung von Briefen aus der Zeit des Nationalsozialismus:
Nichts würde mir ferner liegen, als als bekennende Antifaschistin die Schandtaten des Nationalsozialismus zu relativieren. Ich hoffe inständig dass das Abbilden von Briefen aus dieser Zeit nicht diesen Eindruck hinterlässt.
Besonders geht es mir dabei um die – IN – den Briefen getätigten Aussagen der Autor*innen der Schriftstücke (Briefe, Postkarten, etc.), die zum Teil Nationalsozialist*innen waren, mal mehr – mal weniger überzeugt. Ich möchte mich also auf diesem Weg in aller Form von den Inhalten distanzieren. Die Abbildung dieser historischen Handschriften dient ausschließlich historischem Interesse und der Familienforschung.
Zur Formatierung durch mich:
Der Brief wurde so originalgetreu wie möglich abgeschrieben, also auch Schreibfehler und Wortumbrüche, die von der Autorin so gewählt wurden, in der Originalform belassen. So ist er zudem linksbündig geschrieben – dies ist ebenso beibehalten worden, auch wenn das die Lesbarkeit auf dem Handy etwas einschränkt bzw. nicht so ästhetisch aussieht, wie mir rückgemeldet wurde von Euch. Entschuldigt diesen Nachteil bitte.
Ich finde es äusserst interessant darüber nachzudenken, wie die Bücher von Frau Herzig (denn an sie wurde ja der Brief gesendet), über viele Wege, ausgehend aus dem damaligen Wohnort der Empfängerin – Hannover, auf einem Trödelmarkt in Dresden gelandet sind und auch warum die Briefe so lange in den Büchern verblieben. Aber auch generell der Inhalt löst viel in mir aus – viele Fragen, unterschiedliche Gedanken und Gefühle.
Ich bin sehr gespannt, was Eure Eindrücke oder Vermutungen zu diesem Brief sind.
Also sehr gerne kommentieren, was ihr denkt/vermutet zu den Personen oder was er mit Euch macht…..
Eure Melinda.
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