BURN
– oder auch: „Ich will Dir keine Vorwürfe machen“
- ein Übungsbrief, vor der Reinschrift angefertigt
- scheinbar also ein sehr durchdachter / gut geplanter Brief
- ca. 1920-1940
- Verfasser*in sowie Empfänger*in nicht bekannt – der einzige Hinweis ist die Abkürzung “L.R.” auf der zweiten Seite
- auf einem Trödelmarkt erworben
Ich bin grosszügig genug, Dir auf Deinen sich in jedem Satz wider-
sprechenden Brief zu antworten, um Dir dafür zu danken, dass Du
wenigstens diesmal Deine Feigheit überwunden und den Mut aufgebracht
hast, hinter Dein unredliches Spiel mit mir einen Schlusspunkt zu setzen.
Hättest Du diesen Mut schon bei meinem ersten Zweifel an
der Ehrlichkeit Deines Gefühls für mich gezeigt, oder, noch
besser, hättest Du gleich nach der Auseinandersetzung mit
Deinen Eltern, als für Dich die Aussichtslosigkeit auf die Zu-
stimmung zu unserer Freundschaft [„und damit deren Fortbestehen“
– handschriftlicher Einschub zum vermutlichen späteren hinzufügen
im endgültigen Brief] Tatsache geworden war, die Konsequenzen
gezogen, anstatt von da ab Deine Empfindungen aus Feigheit
[Anm: durchgestrichen im Original] systematisch zu unterdrücken,
wäre Dir und mir mancher seelischer Kummer erspart geblieben.
Denn die Gründe, die nun zur Trennung führen, sind keines-
falls die von Dir aufgeführten. Ich bin überzeugt, wäre es Dir ge-
lungen, das Einverständnis Deiner Eltern für unser Zusammensein zu
erreichen, so hätten Deine Gefühle für mich keine Einbusse erlitten,
sondern wären die gleichen geblieben wie am Anfang. Doch sich will
Dir keine Vorwürfe machen! Die Gewissheit, dass Lüge, Unredlichkeit,
und Vertrauensbruch zu jener Schuld gehören, die sich immer, früher
oder später, auf Erden rächt, lässt mich davon absehen.
Meine Zuneigung zu Dir, mein Glaube an Dich und meine Z
Vertrauen haben Dir „die Erreichung eines gewissen Zieles“
ermöglicht, und es ist daher für Dich [„doch“ – handschriftlicher Einschub]
wohl ein zu billiger Sieg, als dass Du Dich dessen
rühmen könntest, zumal Dein Geständnis, dass das Strohfeuer,
dass schon am Erlöschen war, durch die Erreichung dieses
„Zieles“ nochmals aufloderte, mehr als alles andere zeigt, welch
unaufrichtiges, von Feigheit diktiertes Spiel Du mit mir fast
ein Jahr lang getrieben hast.
[„Ich habe mich in keiner Weise zu schämen, nur zu vergessen,
daß Du Dich meines Vertrauens nicht würdig gezeigt hast.“
– handschriftlicher Einschub]
– Beginn: neue Seite (Rückseite des Briefes) –
Meiner Hingabe, die einem echten, tiefen Gefühl für Dich entsprang,
brauche ich mich nicht zu schämen, ich habe diese auch nicht zu bereuen – – nur zu vergessen, dass Du Dich ihrer nicht würdig gezeigt hast.
L.R. Deiner Bitte um Überlassung eines Bildes von mir vermag [„möchte”
– handschriftlicher Einschub] ich nicht nach zu kommen. Wozu auch? Wenn Du in einer besinnlichen Stunde mir einen freundlichen Gedanken schenken willst, hast Du ja die Bilder vom Sommer in Deinem Besitz. –
Für die Zukunft wünsche ich auch ich Dirtrotz allem – aus ehr- ”
lichem Herzen alles Gute.
[Anmrk: dieses letzte Durchstreichen, dabei besonders was alles durchgestrichen werden sollte, ist schwer erkennbar – daher stellt es eine Schätzung dar.]
Zur Formatierung durch mich:
– da es ein Briefentwurf ist, wurde einiges in ihm geändert, überdacht, durchgestrichen, handschriftlich ergänzt
– ich habe versucht diese Teile deutlich zu machen
– Anmerkungen durch mich sind hellgrau
– von der/dem Autor*in durchgestrichene Teile (die also nicht im endgültigen Brief enden sollten) habe ich hier in meiner Formatierung ebenfalls durchgestrichen und die Farbe mittelgrau gewählt, damit klar ist, dass nur das Schwarze am Ende im reingeschriebenen Brief landet und vermutlich dann so versendet wurde
– doch fand ich auch die gestrichenen Teile sehr vielsagend, daher hab ich sie für Euch drin gelassen
– handgeschriebene Erfänzungen des/der Autors*in wurden in Anführungszeichen gesetzt und kursiv geschrieben dazu
Ich bin sehr gespannt, was Eure Eindrücke oder Vermutungen
zu diesem Brief sind.
Also sehr gerne kommentieren, was ihr denkt oder was er mit Euch macht…..
Eure Melinda.
Soviel Gefühl in geschriebenen Worten. So etwas gibt es heute nur noch ganz ganz selten… Danke für das Bewahren
Da hast Du recht, man fühlt fast mit so viele Gefühle kommen da raus. Bestimmt war die Person am Boden zerstört. Auch wenn ich den Umgang mit den Gefühlen nicht so gut finde. :3
Dank Dir für das liebe Kommentar. 🙂
Ich bin fast neidisch, auf diese Art sich auszudrücken. Die schreibende Person sagt hier wirklich stilvoll “nicht mit mir, du rückratlose*r ____*in”. Zeigt aber auch das sich die menschliche Beziehung seit dem nicht sehr verändert hat.
Die Ausdrucksweise empfinde ich auch als eine wirklich sehr gewählte und elegante. Allerdings fühle ich mich der verfassenden Person gegenüber nicht sehr solidarisch…der anderen Person wird ja komplett das eigene Empfinden abgesprochen bzw. die Gründe für die Entscheidungen in Frage gestellt. Wir können nunmal nur selbst entscheiden, wie wir uns fühlen. Finde den Brief also schon recht hart, unterstellend und verletzend.
Aber so empfinden wir alle was anderes beim Lesen und das war auch meine Absicht mit dem Veröffentlichen und der Hoffnung auf spannende Kommentare von Euch. Der Schreibstil hat absolut was, da bin ich voll bei Dir! Vielen lieben Dank Tina. 🙂
Und in der Tat…viel passiert ist da nicht zu dem wie sich Menschen miteinander verhalten. Das macht die Menschen aber so nah….auch wenn es schon lange her ist. 🙂 Finde ich…
Der Brief lässt viel Raum für Gedankenspiele, was da passiert sein könnte. Das mag ich 🙂
Ohhhh jaaaa…das geht mir ähnlich. 😀
Vielen Dank Fiona fürs Kommentieren. <3
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